Flüchtlingskrise oder Völkerwanderung?

Viel zu lange hat Europa den afrikanischen Kontinent mit ausgebeutet. Nun wundern wir uns, wenn die Menschen in Afrika keine Chancen mehr für sich sehen und zu uns kommen wollen. – Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU)

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller spricht aus, was viele schon lange vermuten: die Massenflucht verzweifelter Menschen aus Hunger- und Kriegsgebieten weltweit steht in Zusammenhang mit dem Konsumverhalten westlicher Industrienationen. Wer Ressourcen und Menschen ausbeutet, so Müller, darf sich über Not und Elend, und die damit einhergehende Migration nicht wundern. Der Bundesentwicklungsminister propagiert Fairen Handel statt Freihandel, also eine Abkehr von der Utopie des Wirtschaftsliberalismus, bei dem die „unsichtbare Hand“ des Marktes alles zu unserer Zufriedenheit regelt, hin zu einer sozialen oder humanen Marktwirtschaft.

Der schottische Philosoph, Ökonom, und Autor Adam Smith (1723–1790), Begründer der Politischen Ökonomie, hat den Freihandel zu einer Zeit propagiert, in der die Zeitgenossen der beginnenden industriellen Revolution tatsächlich unter massiven Handelsbeschränkungen litten. Smiths Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ entstand auch unter dem Eindruck der Proteste der nordamerikanischen Kolonisten, die sich in der Boston Tea Party (1773), der Unabhängigkeitserklärung von 1776, und dem dann folgenden Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1776–1783) manifestierten.

Ökonomen sind weitgehend davon überzeugt, dass die selbstregulierenden Kräfte des Marktes mittel- und langfristig tatsächlich das für Mensch, Tier, und Umwelt optimale Ergebnis herbeiführen. Allerdings nur unter einer wesentlichen Bedingung: der vollständigen Transparenz des Marktes! Die freie Marktwirtschaft kann fehlerfrei funktionieren, wenn Konsumenten im Vorfeld einer Kaufentscheidung über sämtliche relevanten Aspekte des Produkts und der Transaktion perfekt informiert sind. In diesem Fall werden immer wieder ökonomisch richtige Kaufentscheidungen gefällt, die mit der Zeit dafür sorgen, dass sich nur wirklich gute Produkte und Dienstleistungen am Markt durchsetzen können. Diese Voraussetzung wird im wirklichen Leben praktisch nie erfüllt. Wenn Verkäufer ehrlich wären, über Vorzüge und Nachteile ihres Produkts freimütig und ausführlich informierten, setzten sie sich erheblich in Nachteil gegenüber ihrem unehrlichen Kollegen, der seine Ware in den höchsten Tönen preist und Mängel lieber verschweigt.

Unsere Kunden sind so doof, die merken das gar nicht, [dass wir sie anlügen Anm. d. Red.] – ein Vorstandsvorsitzender an seinen Marketing-Leiter

Adam Smith lebte und arbeitete im 18. Jahrhundert, einer Zeit, in der die angebotenen Waren und Dienstleistungen deutlich weniger kompliziert waren als heute. Ein Apfel konnte sich geschmacklich von einem anderen Apfel unterscheiden, oder er war von einer Sorte, die sich besser lagern ließ, diese Variablen waren aber für die Menschen gut überschaubar. Heute hingegen haben wir es mit sehr komplizierten Äpfeln zutun, die vom Erzeuger vielleicht mit mehr oder weniger giftigen Stoffen gespritzt, vor dem Transport begast oder bestrahlt, dann um die halbe Welt verschifft wurden, in deren Erzeugerländern Kinder zur Feldarbeit gezwungen, lebenswichtige Tropenwälder abgeholzt, und Gott weiß was noch alles angerichtet wird. Solche Äpfel unterscheiden sich deutlich von Bio-Äpfeln aus der Region; es fehlt ihnen erheblich an Qualität, und der vermeintlich niedrige Preis ist für ein minderwertiges bis schädliches Produkt leider doch viel zu hoch. Hersteller und Lieferanten wissen das, verschweigen es uns Kunden aber lieber, damit wir das wertlose Produkt überteuert kaufen.

Völlige Transparenz vorausgesetzt, würde jeder Konsument erkennen, dass der Bio-Apfel vom regionalen Erzeuger der billigere Apfel ist. Aufgabe der Politik ist es, für gläserne Erzeuger und Lieferanten zu sorgen. Externe Kosten eines Produkts, wie Umweltschäden, Schäden an der Infrastruktur, oder die Verelendung von Menschen, müssen sich im Preis des verursachenden Produkts niederschlagen, statt – wie bisher – stillschweigend von der Umwelt, von den Opfern, oder von uns Steuerzahlern übernommen zu werden. Produkte und Dienstleistungen, die keine Schäden verursachen, sind dann auch an der Kasse deutlich billiger und werden stärker nachgefragt.